Britisches Programm mit fließenden Grenzen

Die Böblinger Kantorei hat in einem sehr gut besuchten Adventskonzert Werke von Benjamin Britten und John Rutter vorgestellt

2013 war nicht nur ein Wagner- und Verdi-, sondern eigentlich auch ein Britten-Jahr. Daran wurde beim Adventskonzert der Böblinger Kantorei am Sonntag erinnert. Ein britisches Vorweihnachtsprogramm hatte der große Chor diesmal vorbereitet.Dirigent Eckhart Böhm lässt sich immer wieder etwas Ungewöhnliches einfallen.


Von Jan Renz - Mit freundlicher Unterstützung der Kreiszeitung Böblinger Bote


BÖBLINGEN. Am Anfang stand eine Hommage an den erwähnten Jubilar: Benjamin Britten wurde am 22. November vor 100 Jahren geboren. Die Kantorei hatte sich Brittens Weihnachtswerk „A Ceremony of Carols“op. 28 vorgenommen. Es entstand 1942 auf einer Schiffsüberfahrt von Boston (USA) nach Liverpool, die einen Monat dauerte. Britten hatte also viel Zeit zu komponieren. Mit dieser Musik kehrte der Komponist nach Europa, nach England zurück (die USA waren nicht seine Welt): Er bedient sich hier der in seiner Heimat beliebten Gattung der Weihnachtslieder-Zyklen, eben den „Carols“.

Die Harfe machte den Anfang, den Part hatte der energische Tobias Southcott übernommen, der schon als Student in großen deutschen Opernhäusern musizierte. Phantasievoll ging er zu Werke. Fröhlich und aufgeräumt agierten die Sängerinnen und Sänger, gleich ging es für die Soprane hoch hinauf, das ist ganz eigene Musik. Man sang dazu deutsche Texte, so „ein Frühlingslied“: „Lustig gewiss zu hörn nun is das Vogelgsang.“ Mit Nachdruck gestaltete man das abschließende „Deo Gratias“ („Dank sei Gott“).

Man wundert sich nicht, dass dieses freundliche Werk einer der größten Erfolge Brittens wurde. Britten verschaffte der englischen Musik wieder Weltgeltung. Für die erkrankte Sopranistin Susanne Moldenhauer war kurzfristig Jeanette Bühler eingesprungen. Ihr umfangreiches Programm bewältigte sie beeindruckend, mit sicheren Spitzentönen. Expressiv sang auch die Altistin Xenia Maria Mann, die man in Böblingen schon öfter gehört hat. Ein Orchesterstück von Britten war die Überleitung zum Hauptwerk des Abends. Eindringlich gelang den Streichern des Concentus Böblingen der dritte Satz aus Brittens „Simple Symphony“, „a sentimental Saraband“ überschrieben. Der Concentus Böblingen musizierte den ganzen Abend über sicher und subtil wie selten.

Brittens Streichersatz bildete die Brücke zu einem anderen britischen Komponisten: John Rutter, 1945 in London geboren. Sein „Magnificat“ ist 1990 entstanden. Das „Magnificat“ ist der „Lobgesang der Maria“. Mit dem Wort „Magnificat“ beginnt alles, das ist ein einleitendes Motto, von den Sopranen wird das klangschön umgesetzt. Dieser Anfang könnte auch von Leonard Bernstein stammen: Das Orchester klingt üppig, die Bläser entfalten einen ganz eigenen Reiz.

Der Chor ist John Rutter von Kindheit an vertraut: Früh sang er im Knabenchor, lernte die ganze Bandbreite der Kirchenmusik für Chöre kennen, heute schreibt er selbst viel beachtete Chormusik. Rutter will viele Menschen erreichen. Er möchte Musik machen, die „einer Gemeinde, die eher mit Elton John als mit Josquin vertraut ist, etwas sagt“. Sein Chorstil verbindet Elemente der abendländischen Kirchenmusik mit Stilistiken der amerikanischen Musik (Jazz, Pop und Musical).

Bei Rutter gehen Klassik, Jazz, Pop und Filmmusik ineinander über

Heute sind die Grenzen ja fließend, wenigstens bei diesem Komponisten: Klassik, Jazz, Pop, Musical, Filmmusik gehen ineinander über. Das ist sicher keine avantgardistische Musik, manch ein Verfechter Neuer Musik wird seine Bedenken haben, aber es ist auf jeden Fall Musik unserer Zeit.

Die Kantorei gestaltete das jedenfalls mit Ausdruckskraft und ungeheurem Schwung. Dirigent Eckhart Böhm arbeitete hier mit dem ganzen Körper und großem Einsatz. Ansteckende Rhythmen erlebte man im „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten“. Der Komponist operiert mit Kontrasten: Es finden sich dräuende, schleppende Klänge („Der Großes an mir getan hat“). Dem gegenüber stehen helle, pastorale Atmosphären. Wie sanfte Filmmusik wirkt das „Hungernde beschenkt er mit Gaben“. Das „Ehre sei dem Vater“ dagegen wird hämmernd gesungen.

Am Ende, nach 40 überaus reichen Minuten, kehrt die Musik zum Anfang zurück. Große Stille. Noch größerer Applaus für eine zündende Aufführung.