Abenteuerliche Klänge zu Bach

Böblingen: Rekonstruierte Fassung der Markuspassion in der Stadtkirche mit der Kantorei

Auszug SZBZ vom 4.April 2007 (Bernd Heiden)

Unter Leitung von Eckhart Böhm führte die Böblinger Kantorei Bachs Markuspassion auf. Das Werk mit seiner ungewöhnlichen Geschichte veranlasste Böhm zu einer ebenso ungewöhnlichen Aufführung.

Der oberflächlichste Unterschied der Markuspassion zu den bekannten Bach-Passionen, der Matthäus- und Johannespassion, liegt in der Überlieferung. Denn während die beiden Letzteren komplett schwarz auf weiß vorliegen, fehlen zur Markuspassion die Noten. Erhalten ist allein der Text. Musikwissenschaftler glauben dennoch, das Werk fast originalgetreu rekonstruieren können: Sie machen sich das von Bach häufig praktizierte Parodieverfahren zu nutze.

Dabei hatte Bach für verschiedene Texte zu unterschiedlichen Anlässen einfach auf bereits von ihm komponierte Musik zurück gegriffen. So wurden Arien und Chorsätze der Passion ausfindig gemacht. Was aber fehlt, sind die Rezitativvertonungen, in denen vor allem ein in der Evangelistenrolle auftretender Sänger das Geschehen singend erzählt.

In der Stadtkirche nun wurde mit Robert Heyn ein Student der Sprecherziehung gewonnen, der die Passions-Passagen des Evangelisten Markus sprechend vortrug. Das ist ein bei Markuspassionsaufführungen durchaus übliches Verfahren. Witz der Böblinger Aufführung: Die teils ausgedehnten Sprechpassagen unterlegte Percussionist Klaus Küting mit Klängen aus nicht nur teils abenteuerlich aussehendem, sondern auch so klingendem Instrumentarium wie einer an einem übermannshohen Stativ aufgehängten Ballastsaite oder Holzglocken mit Resonanzsaiten.

Klug dosierte Mittel

Von leitmotivischen Techniken, die dem Personal bestimmte Klänge oder Rhythmen zuordnete bis zu reiner Stimmungs- und Spannungskreation reichte seine stets instinktsicher am Text orientierte Interpretation. Dabei dominierten dunkle oder gleißende Klangfarben. Unterm Strich eine ganz individuelle Vertonung, die die Ungeheuerlichkeit des vom ausgezeichnet präparierten Erzähler geschilderten Geschehens plastisch und meist obskur-ungemütlich mit klug dosierten Mitteln unterlegte.

In der Markuspassion warteten auf den Chor weit weniger Herausforderungen als in Bachs übrigen Passionen. So fallen musikdramatisch opernhafte Elemente gänzlich weg. Aus den zahlreichen Chorälen holte die sehr detailliert und nuancenreich singende Kantorei dennoch erstaunliche Ausdrucksvaleurs. Auch in den Chorsätzen hinterließ das Ensemble eine sehr souveräne Figur, wenngleich die Frauenstimmen im Klangbild zwecks unterbesetzter Männer doch dominierten.

Das Ensemble Concentus Böblingen präsentierte sich professionell, die allerdings in einem abenteuerlichen Mix aus alten und modernen Instrumenten zusammengestellte Besetzung forderte mitunter ihre Opfer: Der zarte Gambenton etwa blieb leider mehrfach auf der Strecke. Mit der Sopranistin Ursual Benzing und Altistin Sabine Schilling hatte Eckhart Böhm zwei fähige Sängerinnen verpflichtet, Tenor Rüdiger Husemeyer entpuppte sich dagegen als mit der Partie überforderter Fehlgriff.