Gegründet in Zeiten des kulturellen Aufbruchs

Böblinger Kantorei feiert 50-jähriges Bestehen mit Chorfest im Albert-Einstein-Gymnasium
Hohe Ansprüche auch im Jubiläumsjahr

Viele Sängerinnen und Sänger sind von Anfang an dabei - Isolde Wagner (vorn rechts) singt am längsten im Chor KRZ-Foto: Wandel


Von Thorsten Glotzmann - Kreiszeitung Böblingen

BÖBLINGEN. Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens feierte die Böblinger Kantorei am Samstag ein Chorfest. In den Musikräumen des Albert-Einstein-Gymnasiums studierten die Sängerinnen und Sänger unter der Leitung von Tilman Jäger, Matthias Hanke und Eckhart Böhm Gesangsstücke ein, die sie am Ende des Tages auf der Bühne der Aula in feierlicher Stimmung zum Besten gaben.

Neben dem gemeinsamen Singen im Workshop "VOCE VISTA" und in den einzelnen Chorateliers gab die Veranstaltung gleichzeitig Anlass zur Rückbesinnung: Die ältesten Chormitglieder, darunter auch einige, die von der Gründungsstunde an mit dabei waren und die Entwicklung der Kantorei über die Jahrzehnte hinweg miterlebt haben, nutzten die Gelegenheit, um sich nach vielen Jahren in gelöster Atmosphäre wiederzusehen und bei Kaffee und Kuchen über die Vergangenheit zu plaudern, als sich das Chorsingen unter jungen Menschen noch großer Beliebtheit erfreute.

Böblingens Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang brachte es in seinem Grußwort an die Mitglieder der Böblinger Kantorei im Laufe der Schlussveranstaltung auf den Punkt: "Karl Böbel hat im Jahre 1959 zu den Proben seiner gerade gegründeten Kantorei eingeladen. Spontan meldeten sich 60 Sänger. Das Durchschnittsalter betrug damals 23 Jahre." Kaum hatte Vogelgsang zu Ende gesprochen, brach heiteres Gelächter in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums aus. Die Besucher des Chorfests konnten sich das Lachen nicht verkneifen, denn: Vergleicht man die damalige Chorbegeisterung mit den heutigen Nachwuchsschwierigkeiten im kirchenmusikalischen Bereich, dann tritt die Diskrepanz zwischen den Generationen besonders deutlich hervor. Am Samstag wehte also noch einmal der Wind einer ganz anderen Zeit durch die Musikräume des AEG.

Die KREISZEITUNG hat unmittelbar nach der Gründung einen Artikel über die Kantorei veröffentlicht, mit dem verheißenden Titel: "Die Böblinger Kantorei - ein Chor von hohen Ansprüchen". Damit traf sie den Kern des von Karl Böbel initiierten Chorprojekts, das vierzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begabte und vor allem musikbegeisterte Sängerinnen und Sänger zusammenbrachte und Freundschaften entstehen ließ, die bis heute andauern.

"Wir sind durch die gemeinsame Zeit in der Kantorei zusammengewachsen. Man hat im Laufe der Jahre alles zusammen erlebt: Von der Verlobung über die Hochzeit bis zu den Kindern", ließ die Sopranistin Margot Jorias die letzten Jahrzehnte Revue passieren. Die 66-Jährige sang mit ihrem Mann Norbert (71) zuvor bereits im Kirchenchor und gehörte 1959 zu den Gründungsmitgliedern der Kantorei.

"Sie suchten damals Leute mit musikalischen Vorkenntnissen. Die Kantorei sollte besser als ein gewöhnlicher Chor sein", erinnerte sich der Tenor Siegfried Schwarz an den Beginn der 50-jährigen Erfolgsgeschichte. Die erste Probe fand im Musiksaal der Uhlandschule statt. Und an guten Sängerinnen und Sängern durfte es nicht fehlen. Schließlich stand ein anspruchsvolles Werk auf dem Programm: Am 3. April 1960 gelang der Kantorei mit der Johannespassion ein furioser Auftakt, natürlich unter der Leitung des allseits beliebten und geschätzten Karl Böbel. "Er war kirchenmusikalisch bestens ausgebildet", erzählte der 77-jährige Siegfried Schwarz. Auch die Sopranistin Heide Böckh (70) geriet ins Schwärmen, als sie an Böbel zurückdachte: "Er war ein zurückhaltender, bescheidener Mensch, der uns alle mitreißen konnte." Die schwungvolle Anfangsphase sei im Hinblick auf die folgenden Jahrzehnte entscheidend gewesen, man habe damals eine regelrechte "Aufbruchsstimmung" gespürt, wie es das Mitglied Helmut Kusch bezeichnete. "Nach dem Krieg hatte man erstmals das Gefühl, dass es mit der Kultur wieder aufwärts geht", meinte Siegfried Schwarz.

"Damals gab es eben noch nicht so viele Möglichkeiten, sich abzulenken", fügte Isolde Wagner hinzu, die mit ihren 83 Jahren ein wahrhaftiges Kantorei-Urgestein ist. Die Böblingerin stieß Anfang der Sechziger Jahre hinzu und ist dem Chor seitdem immer treu geblieben. "Wenn es meine Gesundheit zulässt, dann werde ich das Weihnachtsoratorium auch in diesem Jahr singen. Schließlich habe ich das schon unzählige Male getan", erzählte die Altistin, die nach dem Krieg zunächst im Liederkranz sang, ehe sie zur Kantorei wechselte, "weil es musikalisch einfach nichts Besseres gab", so Wagner.

Nach Helmut Wolf, Johannes Uhle, Matthias Hanke und Tilman Jäger heißt der Leiter der Kantorei seit 2005 Eckhart Böhm, der heute mit dem jenen Nachwuchsproblemen zu kämpfen hat, an die vor fünfzig Jahren gar nicht zu denken war - damals, als die Kantorei noch ganz im Zeichen des kulturellen Aufbruchs stand.