Haydns Oratorium ,Die Schöpfung' mit der Böblinger Kantorei in der Marienkirche
/ 22.April 2002 / Böblinger Kreiszeitung

Böblingen - Haydns Schöpfung war eines der wenigen Werke, deren Uraufführung nicht durch befehlende Aufträge von Fürsten zu Stande kamen, sondern die durch eine Subskription, eine Privatfinanzierung ermöglicht worden waren. Die bürgerlichen und adeligen Musikfreunde zahlten freiwillig 50 Dukaten vorab, die als Honorar für Haydn und für die Kosten der Aufführung gezahlt wurden.

Ob die Anzahl der Besucher in der Marienkirche für die Finanzierung der Aufführung der Böblinger Kantorei gereicht hätte? Vermutlich nicht, denn sonst wären nicht die Sponsoren auf der letzten Seite des Programmheftes genannt. Statt Haydn 1798 dirigiert 2002 nun Tilman Jäger, die Interpreten sind neben der Böblinger Kantorei das Tübinger Orchester Camerata viva und die Solisten Ulrike Dehnen, Andreas Weller und Markus Lemke. Im Publikum sitzt auch nicht die Wiener Hautevolee, sondern unter einigen hundert Zuhörern die beiden Böblinger Bürgermeister und KSK-Chef Carsten Claus. Haydns Hit wurde mit viel Engagement und Präzision wiedergegeben, vor allem wurde die zweistündige Aufführung durch einen nie nachlassenden Spannungsbogen zusammengehalten, der die Frische dieser Musik, die bis heute unverbraucht ist, zum Erblühen brachte. Wobei auch diese Aufführung nicht verhehlen konnte, dass Haydns Werk Schwächen enthält; etwa wenn der soeben geschaffene Mensch noch einmal retrospektiv betrachtet, was Gott etliche Takte vorher an Schöpfungen hervorgebracht hat, dann tritt die Komposition uninspiriert auf der Stelle und entfaltet längst nicht jene Originalität der Erfindung in den ersten zwei Dritteln.

Der mit vielen jungen Stimmen besetzte Chor verfügt über eine feste Klangstruktur, die im Forte viel Vitalität ausstrahlt und in den Pianopassagen nie die vokale Substanz verliert, so dass der Ton stets deutlich wahrnehmbar über dem Orchester schwebt. Vor allen in den Fugen beweist er rhythmische und musikantische Präzision, verlieh Haydns von Goethe geschätztem Tongemälde klassisch klares Profil mit lebhaften Akzenten. Die Camerata Viva spielt erkennbar an historischen Klangbildern orientiert, die Geigen musizieren fast vibratolos, die Bläser werfen kräftige bis rustikale Farben ein, der Klang ist insgesamt aufgelichtet und gegen den Strich gebürstet.

Junger Bassist von großem Format
Die Camerata steht dem Chor an Verve in nichts nach, nur manchmal - bei der Begleitung der Solisten - hätte man sich von Tilman Jäger eine stärkere Dämpfung der Lautstärke gewünscht; schon Richard Strauss befand, dass man als Dirigent Bläser nicht einmal ansehen dürfe, schon dann würden sie zu laut. Von den Solisten gehört dem jungen Bass Markus Lemke die Krone; seine Stimme besticht durch eine enorme Spannweite, angenehm klingendes Volumen ohne Brüllattitüde und eine hohe Musikalität, mit der er die Ausdrucksnuancen, vor allem in den lautmalerischen Passagen bei der Erschaffung von Naturelementen und Tieren, nachzeichnet. Die Sopranistin Ulrike Dehnen ist sicher nicht die geborene Koloratursängerin, doch konnte sie auch diese Partien innerhalb des Werkes bewältigen, hatte ihre anrührendsten Momente allerdings in den ariosen Passagen, in denen die Schöpfung naiv-humanistische Züge erreicht. Vor allem die köstliche Einfalt der Adam-und-Eva-Szene gestaltet sie mit klar leuchtendem Timbre (die leicht ironische Naivität, mit der Haydn die Mann-und-Weib-Harmonie in Töne fasst - wie bei Mozarts Papageno und Papagena - steht in krassem Gegensatz zu seiner 40-jährigen Ehe, die wenig von Harmonie gekennzeichnet war und kinderlos blieb. Das einzige Kind, an dem er sehr hing, zeugte Haydn mit einer rassigen italienischen Opernsängerin). Der helle Tenor von Andreas Weller ist etwas eindimensionaler im Timbre, dennoch geraten ihm die brillanten Stellen der Arien und die hymnische Rezitative überzeugend, da er eine ausgefeilte Stimmtechnik virtuos einsetzen kann. Langer, begeisterter Beifall in der gut besuchten Kirche.