Die Schöpfung von Joseph Haydn (1798)
ratorium für Solostimmen, Chor und Orchester
Libretto: Gottfried Bernhard Baron van Swieten
Opus Hob. XXI:2
Uraufführung: 29. März 1798 in Wien

Teile: 1. Teil: Die ersten vier Tage der Schöpfung.
2. Teil: Der fünfte und der sechste Tag.
3. Teil: Die Erschaffung des Menschen.

"Die Schöpfung" wurde noch zu Lebzeiten Haydns das Werk, das ihn weltberühmt machte. Zur Zeit der Aufklärung kam einem Vokalwerk größere Bedeutung zu, da im ausgehenden 18. Jahrhundert das Wort der Musik eine Gewissheit ihrer Bedeutung verlieh, die bei reiner Instrumentalmusik nicht gegeben war. Als sich in Wien die Nachricht verbreitete, Haydn arbeite an einem Oratorium, wurde mit mehr Spannung darauf gewartet als auf jede seiner Symphonien. Die Uraufführung 1798 enttäuschte nicht - im Gegenteil: Das Publikum war tief beeindruckt und berührt, wovon etliche erhalten gebliebene Kommentare zeugen: "Tiefstes Schweigen, gespannteste Aufmerksamkeit, eine - ich möchte sagen - religiöse Verehrung herrschten von dem Moment an vor, als der erste Bogenstrich getan wurde" oder "Man muss zärtliche Tränen über die Größe, die Majestät und die Güte Gottes vergießen. Die Seele ist erhoben. Man kann nur lieben und bewundern" oder "... über dieses Spektakel hat unsere schöne Welt zu Wien sogar den Durchmarsch der Russen ver-gessen". Doch auch für Haydn selbst zählt die Schöpfung zu dem seiner Meinung nach gelungensten und ergreifendsten Werk ("Nie war ich so fromm als bei der Komposition der Schöpfung. Täglich fiel ich auf die Knie und bat Gott, dass er mich stärke für mein Werk"). Bereits ein Jahr später wurde sie nochmals aufgeführt - dieses Mal in großer Besetzung: Das Orchester bestand aus 180 Musikern - der Chor dürfte entsprechend stark gewesen sein. Doch zunächst: Wie kam es zu diesem Werk?

Bei seinem zweiten London-Aufenthalt (1794-1795) fiel Haydn ein Oratorium-Libretto nach Miltons "Lost Paradise" in die Hände, das er einem Präfekten der Wiener Hofbibliothek, Baron Gottfried von Swieten, zur Übersetzung ins Deutsche und zur Bearbeitung weitergab. Von Swieten war es dann auch, der diese Textvorlage für Haydn nicht nur inspirierend im Geiste der Aufklärung bearbeitete und mit Anmerkungen und Anregungen zur musikalischen Gestaltung versah, sondern auch drängte, das Oratorium nach Händel´schem Vorbild zu komponieren (was sich auch tatsächlich in den Chorsätzen zeigt, in welchen Haydn virtuos die Mittel barocker Chortechnik einsetzt). Die Zusammenarbeit zwischen Komponist und Librettist war offensichtlich sehr eng und Haydn zog für die (verhältnismäßig lange) Zeit von mehr als zwei Jahren, die ihn die Komposition des Oratoriums in Anspruch nahm, in die Nähe Swietens, um mit ihm in regelmäßigem Gedankenaustausch zu bleiben. Dabei spielte "das Erhabene" eine zentrale Rolle. Haydn selbst formulierte:

"Seit jeher wurde die Schöpfung als das erhabenste, als das am meisten Ehrfurcht einflößende Bild für den Menschen angesehen. Dieses große Werk mit einer ihm angemessenen Musik zu begleiten, konnte sicher keine andere Folge haben, als diese Empfindungen in den Herzen der Menschen zu erhöhen und ihn in eine höchst empfindsame Lage für die Güte und Allmacht des Schöpfers hinzustimmen. " Das Erhabene, das seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert zunehmend die ästhetische Dis-kussion bestimmte, konnte verschiedene Form annehmen: Entweder als eine Art "Überraschung", etwas, das als Folge eines "angenehmen Schreckens" empfunden wird - oder als scheinbar kunstlose Einfachheit, als das edle "Einfältige". Stets jedoch hatte es die Funktion, stilistische Grenzüberschreitungen anzuregen oder im nachhinein zu rechtfertigen.

Das Werk
Diesem "Erhabenen" wird im ersten Teil der Schöpfung Gestalt verliehen:

Seit der Uraufführung der Schöpfung geht von der instrumentalen Einleitung, der "Vorstellung des Chaos", eine besondere Faszination aus: Das Thema verlangt nach einer stilistischen Grenzüberschreitung. Der Komponist ist gefordert, durch seine Musik den Eindruck von Chaos zu erwecken, ohne chaotisch zu komponieren. Haydn gelingt dies auf ver-schiedene Weise: So kompliziert er den harmonischen Verlauf und stellt ihn in einen Gegensatz zur Melodik - ein stilistisches Novum dieser Zeit, in der sonst Harmonik und Melodie kongruent zu halten waren. Kurze melodische Floskeln erwecken den Eindruck des Fragmentarischen und noch nicht ganz Durchgeformten - Leben, das sich zwar regt, aber noch nicht recht entfaltet hat. Fragmentarisch bleibt auch die Reprise - eine Idee, die in der späteren Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts häufig aufgegriffen wurde.

Ein "Überraschungsmoment" als Ausdruck des "Erhabenen" ergibt sich nach der Instrumentaleinleitung: Van Swieten schlug vor: "In dem Chore könnte die Finsternis nach und nach verschwinden; doch so, dass von dem Dunkel genug übrig bleibe, um den augenblicklichen Übergang zum Lichte recht stark empfinden zu machen. Es werde Licht... darf nur einmal gesagt werden." Haydn, der diesen Vorschlag aufnahm, hielt übrigens dieses Überraschungsmoment des subito fortissimo bei dem Wort "Licht" während der Proben vor allen Freunden verborgen, um ihm für die Uraufführung seine überraschende und somit erhabene Wirkung zu sichern. Eine weitere Seite des Erhabenen, nämlich die "Einfachheit" kommt im darauffolgenden Chorsatz ("...und eine neue Welt") zum Ausdruck: Die Musik nimmt sich nicht nur zurück durch die fast tänzerische, volksliedhafte Einfachheit des Satzes, sondern auch durch die Reduktion der Lautstärke - der Chor singt "sotto, bzw. mezza voce".

Löst der Anfang des Oratoriums vor allem Staunen aus, sind die folgenden Nummern eher auf das Wecken verständiger Einsicht ausgerichtet. Hier liegt das Vergnügen des Zuhörers im Verstehen und Entschlüsseln der tonmalerischen Passagen: Zuerst stellt das Orchester die verschiedenen Naturerscheinungen tonmalerisch dar, dann erst benennt sie der Gesangs-solist - der Hörer konnte beides vergleichen und wusste im Zeichen der Aufklärung die Betätigung seines Verstandes beim Hören von Musik durchaus als Lustgewinn zu schätzen. Van Swieten hat in der abwechs-lungsreichen Gestaltung der einzelnen Schöpfungstage großes Geschick bewiesen, indem er dem alten Rezept des "Chiaroscuro" folgte, d.h. einer angemessenen Verteilung und Gegenüberstellung von"Hell" und"Dunkel":

Der "allerquickende Regen" steht dem "allverheerenden Schauer" gegenüber, das "ungestüme Meer" dem "hellen Bach", die Sonne ("ein Riese, stolz und froh") dem Mond "mit leisem Gang und sanftem Schimmer".

Diesem Muster folgt auch der zweite Teil, der mit der Erschaffung der Tiere beginnt: Dem zarten Taubenpaar wird der stolze Adler gegenüber-gestellt, dem "hellen Nass", das der Fisch "durchblitzt", der "tiefste Meeresgrund", von dem sich Leviathan wälzt. Je vielgestaltiger die Schöpfung wird, um so mehr weichen die polaren Gegenüberstellungen vielfältigeren Konfigurationen, die "dunkleren", menschenfeindlichen und undurchsichtigen Elemente schwinden und machen einer dem Menschen vorherbestimmten Natur Platz. Auch die Musik nähert sich anstelle des "hohen Stils", der das Unfassbare beschwört, einer mittleren Stilebene (deren Vorbild im deutschen Singspiel und seinem großen Werk, der Zauberflöte, zu erkennen ist). Die berühmte Arie des Uriel "Mit Würd´ und Hoheit angetan" (Nr. 24), in der das erste Menschenpaar vorgestellt wird, kehrt wieder zum C-Dur des "Lichts" zurück. Die Vollendung der Schöpfung wird in zwei großen Chorfugen (Nr. 26 und Nr. 28) gefeiert, die sich zueinander wie Variationen verhalten.


Der dritte Teil ist dem Paar Adam und Eva gewidmet. Sie treten nicht demütig und bußfertig auf, sondern - die neue Geisteshaltung der Aufklärung spiegelnd - schön und würdig, mit Mut, Weisheit und Stärke begabt. Dem Rezitativ von Uriel (Nr. 29), an das sich der Dankgesang Evas und Adams anschließt, geht eine längere Orchestereinleitung voraus, die das Strömen der "reinen Harmonie" darstellt. Haydn gestaltete diesen Orchestersatz zu einem musikalischen Gegenbild des Chaos. Mit dem Lobpreis Gottes, den der Chor und das Solistenpaar anstimmen (Nr. 30), erklingt zum letzten Mal die Zentraltonart C-Dur. Danach wendet sich das Paar sich selbst zu. Ungewöhnlich an diesen Duetten ist die Kombination einer Sopranstimme (Eva) mit einer Bass-Stimme (Adam) - den Konven-tionen hätte eine gleichgeartete Zusammenstellung von Sopran und Tenor entsprochen. Geläufig war die Verbindung von Sopran und Bass eher bei komischen Nebenrollen (in der Zauberflöte nehmen Papageno und Pamina diese Kombination ein) - ein Hinweis auf die Naivität des ersten Men-schenpaares, das seine Prüfung noch vor sich hat. Nachdem Uriel die beiden gewarnt hat, "noch mehr zu wünschen, als ihr habt und mehr zu wissen, als ihr sollt" (Nr. 33), endet das Werk mit einem letzten Jubelchor, der als Doppelfuge angelegt ist. Die Tonart des Schlusschores ist nicht C-Dur, Haydn verlässt seine zentrale Tonart zugunsten der "Zauberflöten-tonart" (den B-Tonarten). Der Sündenfall findet in Haydns Schöpfung nicht statt - es scheint der Mensch sich selbst zu genügen, von Natur aus "perfekt" zu sein. Doch gerade die ungewöhnliche Besetzung der Stimmen Adams und Evas sowie das Nichtzurückkehren der Grundtonart C-Dur am Ende lassen den Schluss als offene Frage an die Fähigkeit des Menschen zur Vollkommenheit erscheinen.