Zuckerwatte mit Biss

Böblingen: Kantorei singt Herzogenbergs Weihnachtsoratorium


SZBZ vom 13.November 2005 ( Bernd Heiden )

Seine Fähigkeiten als Organist hat der neue hauptamtliche Böblinger Kantor Eckart Böhm schon mehrfach in Konzerten unterstrichen. Nun stellte er sich erstmals in einem Konzert als Chorleiter der Kantorei mit Heinrich von Herzogenbergs Weihnachtsoratorium vor. Sehr erfreulich: Den Dirigentenwechsel von Tilman Jäger auf Böhm hat die Böblinger Kantorei quasi ohne Niveauverluste überstanden.

Das kleine vorbehaltliche "Quasi" liegt allein darin begründet, dass Herzogenbergs Die Geburt Christi nicht ganz die Anforderungen an den Chor stellte, die etwa die zuletzt unter Tilman Jägers Leitung gesungene Bachschen Johannespassion für die Formation bedeutet hatte.

Dennoch, auch wenn das romantische, mit viel Zuckerwatte wie populären Weihnachtsliedern arbeitende Weihnachtsoratorium des Brahmsianers Herzogenberg von 1894 nicht die technischen Anforderungen stellt wie ein Bach, man kann auch bei diesem Werk vieles schlecht machen. Die Kantorei dagegen, obwohl für die Romantik quantitativ eher an der Besetzungsuntergrenze, macht fast alles sehr gut.

Gute Balance

Sehr feine dynamische Stufungen, sehr schöner, warmer Klang im Pianissimo, ausgedehnte Crescendi und lang geschwungene Phrasierungbögen, Homogenität registerintern und gute Balance zu den übrigen Stimmen: Das ist bis in Details ausgetüftelt und verliert doch nicht den großen musikalischen Atem.

Anders gesagt, trotz des ausgebufften Musikdesigns wird einem da bisweilen richtig weihnachtlich ums Herz. Nur dass bei den Tenören jemand sich bisweilen mit Übereifer für die Solistenrolle zu bewerben scheint und ergo rausknallt, stört ab und zu. Allerdings überzeugt die Aufführung nicht nur mit Friede, Freude, Krippenidylle, die Kantorei versteht sich sehr wohl auch auf das machtvolle, kraftvolle und zupackende Lobpreisen, etwa im "Ehre sei Gott".

Wer übrigens bei Unterstufe immer Unterentwicklung assoziiert, den belehrte der von Susanne Pflumm-Hruza einstudierte Unterstufenchor des Albert-Einstein-Gymnasiums Böblingen mit seinem Auftritt im dritten Oratoriumteil darüber, dass auch auf der Nachwuchsstufe musikalische Vollwertkost produziert werden kann.

Neue Vokalsolisten

Gänzlich unbekannt in der hiesigen Konzertszene waren die Gesangssolisten, bei denen Sopran (Janel Harach) und ein sehr hell temperierter Alt (Xenia Maria Mann) mit so ausladenden wie angenehmen Opernstimmen aufwarteten. Tenor Michael Gann mit den aus Barockperspektivik fast arios anmutenden Rezitativen betraut, hatte die solistischen Löwenanteile und nahm sich, manchmal freilich etwas arg in die Töne schleifend, in Belcantomanier der Aufgabe an. Bassist Konstantin Beier wirkt an der Seite dieser drei vor allem in Quartetten über weite Strecken zu zurückhaltend, dem ersten Rezitativ mangelt es gar komplett an Herrscherattitüde.

Unter einem engagierten und genauen Dirigat Böhms fand sich die Tübinger Camerata Viva mühelos in romantischem Ton mit dem Werk zurecht.